Antrag / Anfrage / Rede
Rede zur Weihnachtsfeier des Stadtrats am 17.12.2010
Rede zur Weihnachtsfeier 2010
Oberbürgermeister Dr. Holzinger hat Sie schon begrüßt und auch ich möchte Sie bei unserer diesjährigen Abschlussfeier willkommen heißen. Auf die Nennung der einzelnen Namen möchte ich – Ihr Einverständnis voraussetzend, daher verzichten. Nicht immer sind Dr. Holzinger und ich uns einig, doch an diesem wichtigen Punkt sind wir einer Meinung. Ich freue mich ebenso wie er, dass ich den heutigen Abend mit Ihnen gemeinsam verbringen darf.
Als Mitglied einer der kleineren Fraktionen im Stadtrat – man braucht mindestens 4 Fraktionsmitglieder um hier sprechen zu dürfen - wurde mir heute die Ehre zuteil, als Vertreter des Stadtrats zu Ihnen sprechen zu dürfen.
Ich werde nichts über die Highlights im Jahresverlauf, den Fischertag, das Kinderfest, das Stadtfest, oder Schwaben weiß-blau und vieles Andere mehr erzählen. Ich werde auch nicht im Stil eines Chronisten, die vergangenen 12 Monate Revue passieren lassen. Ich möchte mir einige Dinge herausgreifen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ich riskiere auch, mir vielleicht sogar nachsagen zu lassen, ich hätte die Prioritäten falsch gesetzt.
Der Seniorenbeirat
• Er wurde dieses Jahr gegründet, die Mitglieder wurden gewählt und viele sehr engagierte Mitbürger bringen sich dort ein.
• Dieser Beirat ist wichtig im Rahmen der demographischen Entwicklung, die sicherlich eines der Hauptthemen dieses Jahrhunderts darstellen wird. Sie wird nachhaltig unser Stadtbild verändern und ich bin guten Mutes, dass sie sogar dafür sorgt, dass das komplexeste und langwierigste Bauprojekt dieser Stadt einmal sein Ende findet, nämlich der Aufzug im Rathaus. Seit Jahren laufen nun die Planungen, da muss eine super Lösung mit Vorbildcharakter weit über Memmingen hinaus herauskommen.
• Die Pflegeversicherung und die Kosten des Altwerdens werden ungeahnte Sprengkraft entwickeln. Wir tun gut daran, durch intelligente Wohn- und Betreuungsformen das Altern in Gemeinschaft ohne Verzicht auf Versorgung und Mobilität möglich und somit erschwinglicher zu machen.
• Wir wünschen dem Seniorenbeirat viel Erfolg bei seinen wichtigen und schwierigen Aufgaben und danken stellvertretend für die vielen ehrenamtlich Tätigen den Frauen und Männern des Seniorenbeirats für ihre Arbeit.
Der Schrannenplatz, auch häufig die „Neue Mitte“ genannt, wurde im Oktober „eröffnet.“
• Manche Menschen haben mir ihr Missfallen kundgetan, mir und den Stadtratskollegen und –kolleginnen fast schon Geschmacksverirrung vorgeworfen. Sicher hätte man das ein oder andere vielleicht anders und noch besser machen können, sicher hätte auch jeder von uns noch den einen oder anderen Wunsch gehabt.
• Wir sind dennoch stolz darauf, dass wir uns zu einer gemeinsamen Lösung durchgerungen haben. Die war nur möglich, da Stadt und die Siebendächer Wohnbaugenossenschaft Hand in Hand gearbeitet haben, und weil unser Altbürgermeister Josef Lang und Matthias Rothdach vom Stadtplanungsamt so viel Herzblut in die Sache gesteckt haben, dass er wahrscheinlich jeden Abend zur Blutauffrischung ins Klinikum mussten. Diesen beiden soll stellvertretend für viele Memminger, die sich in die Gestaltung unserer Stadt einbringen unser Dank gelten.
• Der Schrannenplatz ist ein Beweis dafür: Wenn wir in Memmingen zusammenstehen, bewegen wir etwas… So muss es sein. Im Stadtrat darf und muss man häufig unterschiedlicher Meinung sein, doch irgendwann muss man sich durchringen, die ein oder andere Kröte schlucken, Neues wagen und vielleicht auch die ein oder andere kritische Bemerkung der Bevölkerung verdauen.
Zur Kultur gäbe es sehr viel zu sagen:
• Ich möchte mich stellvertretend für die vielen Veranstaltungen auf die Memminger Meile beschränken, da sie vielen Memmingern die Kultur etwas näher gebracht hat. Sie war ein großer Erfolg, sicher auch weil sie mitten in die Stadt erlebt werden konnte, ja mit der Luftakrobatik sogar über der Stadt stattfand.
• Memmingen war erlebbar, die Innenstadt wurde war Bühne und Teil der Inszenierung und als Zuschauer hatte man manchmal fast den Eindruck, sogar selbst Teil der Inszenierung zu sein.
• Diese Konzepte können vielleicht ausgebaut werden, Elemente der Memminger Meile sollten ganzjährig Neugierige in unsere Stadt bringen.
• Dem Kulturamt sei an dieser Stelle stellvertretend auch für die ganze Stadtverwaltung Dank gesagt.
Ganz kurz möchte ich ein Schlaglicht auch auf unseren Stadtrat lenken
• Vor fast genau vor einem Jahr haben wir nach mehrjährigem Anlauf beschlossen, die Anträge an den Stadtrat im Internet mit Behandlungsstatus zu veröffentlichen. Auch die Protokolle der öffentlichen Sitzungen, werden – wenn auch ohne Redebeiträge – ins Internet eingestellt. Sicher ist es nicht für alle Stadträte – mich eingeschlossen – zufriedenstellend, dass nicht erkennbar ist, wer sich wie positioniert hat, aber es ist doch ein großer Erfolg, dass wir immerhin schon so weit gekommen sind. Die Transparenz ist in Memmingen angekommen und wir sind zuversichtlich, dass sie noch ein wenig mehr Raum bekommt.
• Plenums-Sitzungen finden seit kurzer Zeit meist erst um 16.00 Uhr statt. So können wir nun versuchen mehr Berufstätige und einen repräsentativeren Querschnitt der Bevölkerung für die Kandidatur zu unserem Gremium zu gewinnen.
Zwei Wahlen gab es dieses Jahr
• Die Wahl des Oberbürgermeisters und die des zweiten Bürgermeisters. Unser Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger hat sich souverän bereits im ersten Wahlgang gegen seine fünf Mitbewerberinnen und Mitbewerber durchgesetzt. Herr Oberbürgermeister das war wahrlich phänomenal und hat mir ein paar Wettschulden eingebracht. Mit Ihrer nun 6. Amtszeit stellen Sie den deutschen Rekord auf und werden in die Annalen dieser Republik eingehen.
• Die Neuwahl der 2. Bürgermeisterin kam überraschend, weniger überraschend war dann der Ausgang der Wahl. Herr Kustermann hat treffend von der Großen Koalition im Stadtrat geschrieben.
• Vor der OB-Wahl hat sich in unserer Stadt viel getan. Der Amtsinhaber zauberte ein Ass nach dem anderen aus der Ärmeltasche und die Mitbewerber gebaren Ideen, denen er sich nicht immer verschließen konnte oder auch gar nicht wollte. So hat dieser Wahlkampf doch neue Ideen befördert und die 50% Wähler innerhalb der Bevölkerung haben sich zumindest ein klein wenig mit der Stadtpolitik auseinandergesetzt.
• Fast möchte man sagen, es sollte jedes Jahr Wahl sein…. Aber das wäre dann doch ein wenig zu anstrengend und aufwändig. Aufgabe für uns alle ist, auch zwischen den Wahlen konstruktiv miteinander und gemeinsam um Verbesserungen für unsere Stadt zu ringen. Wir müssen das Beste für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt auf den Weg zu bringen und dabei die Bürger rechtzeitig mitzunehmen.
• S21 und andere Projekte zeigen: Das Volk, so unpolitisch es sonst auch manchmal scheint oder auch ist – man betrachte hierzu nur die Wahlbeteiligungen – will mehr Mitsprachemöglichkeiten. Wir haben als Parteien verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Wir müssen nicht die Demokratie neu erfinden, aber die Formen der
Beteiligung. Es ist eine alte Erfahrung: Wer beteiligt war, trägt Entscheidungen eher mit.
• Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen ich möchte mich bei Ihnen und euch herzlich für die zumeist konstruktive Zusammenarbeit im vergangenen Jahr bedanken.
Energie
• Das Energiecontracting ist so richtig losgelaufen. Ein jahrelang hart umkämpftes Projekt - die Hackschnitzelheizung im BBZ – mit Memminger Taschenrechnern gerechnet war sie nie wirtschaftlich, mit einem Münchner Taschenrechner von Siemens war sie auf einmal wirtschaftlich.
• Deshalb sollten die Taschenrechner der Kämmerei vielleicht zukünftig in München gekauft werden, die rechnen freundlicher für die Ökologie und – wie ich Siemens so kenne – sicher auch nicht ganz schlecht für das Portemonnaie.
• MM hat den 5. Platz in Solarbundesliga der Mittelstädte und 1. Platz in Allgäuer Liga errungen. Da haben Stadträte und engagierte Bürger und – das muss auch mal gesagt werden – gerade in letzter Zeit auch ökologisch unbeleckte Kapitalanleger dazu beigetragen.
• Die Solarindustrie hat dank der oben genannten Investitionen in Memmingen und anderswo viele neue Stellen geschaffen, man denke z.B. nur an die Firma Steca und die vielen kleinen Montagebetriebe. Nun bringt sie uns sogar ein weiteres Technologie-Transferzentrum.
• Als ich vor knapp 20 Jahren, also noch weit im letzten Jahrtausend meine erste Solaranlage montiert habe, wurde ich von vielen mitleidig belächelt. Mein Nachbar fragte, ob sich das wohl rechnet. Ich habe ihn damals nur gefragt, ob sich sein 8-Zylinder in der Garage rechnet. Spätestens von jetzt ab in drei Jahren sieht die Situation anders aus, Solaranlagen werden sich ohne Subventionen rechnen.
• Städte wie Memmingen haben zum Energiewandel beigetragen. Wir können stolz auf uns sein. Stellvertretend für die vielen Bürger, die sich in vielfältigster Weise für unsere Stadt und unsere Region einsetzen sei hier denen gedankt, die die Solarindustrie in unsere Stadt nach vorne gebracht haben.
Wirtschaft
• Nach einer achterbahnähnlichen Talfahrt, beginnend ab Mitte 2008, sind wir nun quasi auf der Gegengeraden und bewegen uns in ähnlich atemberaubenden Tempo wieder nach oben. Die Politik, die Presse und auch die Bevölkerung sind voll des Lobes. Lohnerhöhungen werden von Arbeitgeberseite freiwillig vorgezogen, die Steuern sprudeln viel stärker als befürchtet. Eigentlich ein herrlicher Schluss für eine solche Rede: Leute es geht aufwärts, was wollen wir mehr.
• Natürlich dürfen wir uns freuen, dürfen stolz und glücklich sein, ob unserer doch relativ krisenresistenten und bodenständigen Wirtschaftsstrukturen, unserer Regierung (damals noch die große Koalition) die besonnen, zügig und fast allen Punkten richtig gehandelt hat und Deutschland zum wirtschaftlichen Zugpferd der westlichen Staaten, bzw. der Old Economy gemacht hat.
• Doch diese Rede soll Sie nicht nur bis unter den Weihnachtsbaum begleiten, nein, sie soll auch noch an Silvester präsent sein, wenn Vorsätze für das neue Jahr geschmiedet werden. Darum möchte ich Ihnen auch noch etwas zum Denken mit auf den Weg geben.
• Wir freuen uns über das Wachstum, das in Deutschland und weltweit in Bruttosozial- oder Bruttoinlandsprodukt gemessen wird und das sich hier in Memmingen in steigenden Steuerzahlungen niederschlägt. Falls ich heute auf dem Nachhause-Weg einen schweren Unfall verursache, wird meine Versicherung den Schaden regulieren und der Unfall war gut für das Bruttosozialprodukt und die Memminger Steuerkraft, doch ist das auch gut für meinen Unfallgegner, für mich? Wenn eine junge Frau nächstes Jahr ihr Kind in die Kita gibt und selbst zum Arbeiten geht, so ist dies gleich zweimal gut für das Bruttosozialprodukt, doch ist es auch in jedem Fall gut für das Kind und die Mutter?
• Wenn wir ein neues Gewerbegebiet erschließen und das auch füllen, so eignet sich die Botschaft hierüber hervorragend für eine Jahresschlussrede. Wir sind erfolgreich, wir wachsen. Ja wir wachsen wirklich in Deutschland. Derzeit verbrauchen wir täglich etwa 100 ha Land, das sind 125 Fußballfelder. Alle zwei Monate verschwindet die
Grünfläche einer Stadt wie Memmingen und alle 18 Monate die Fläche des Bodensees. Und dieses Wachstums ist verbunden mit einem Verlust an Arten und ökologischer Vielfalt. (70 km2, 536 km2)
• Viele freuen uns über mehr Fluggäste an unserem Airport. Doch erzeugen wir heute dort schon etwa 5 Mal so viel CO2, wie nach Angela Merkels Ansatz zur Klimagerechtigkeit unserer Stadt zusteht, nämlich 2to/Kopf. Aber wir investieren ja in erneuerbare Energien, das ist ja alles nicht so schlimm. Um die 200.000 to Co2 mit Photovoltaik-Anlagen zu neutralisieren geben wir zu heutigen Vergütungssätzen 100 Mio Euro pro Jahr aus.
Conclusion
• Unsere Kinder und Enkel werden sich vielleicht eines Tages fragen, ob unsere Werte Bruttosozialprodukt und Wachstum die einzig richtigen waren. Auch wir Stadträtinnen und Stadträte werden uns lokal den globalen Herausforderungen stellen müssen. Es mehren sich die Stimmen, die einen Abschied vom Wachstumswahn fordern. Meinhard Miegel, einer der renommiertesten Sozialwissenschaftler Deutschlands, kommt zu der Erkenntnis, dass heutiges Wachstum unseren Wohlstand nicht mehrt, sondern auf drastische Weise verzehrt. Wollen wir unseren Wohlstand bewahren, müssen wir uns vom Wachstumswahn befreien, eher heute als morgen.
• Meine Damen und Herren, wir haben dieses Jahr viel geschafft, wir haben gemeinsam unser Memmingen ein Stück vorangebracht. Ganz besonders freut mich, dass wir unseren Bestand verbessert haben und nicht zu sehr in die Fläche gegangen sind. Und auch wenn ich mir unsere Projekte der nächsten Jahre anschaue, so haben diese viel mit Erhalt, Umbau und Sanierung zu tun. Die Realschule entsteht auf einer Industriebrache, die südliche Altstadt soll zu neuem Leben erweckt werden, das Bahnhofsareal und andere städtebauliche Sanierungsprojekte sollen angegangen werden. Bewusst oder unbewusst haben wir Memminger uns in vielen Punkten für
einen Weg entschieden der zukunftsträchtig und nachhaltig ist. In anderen Punkten besteht aus manch einer Sicht vielleicht noch Diskussionsbedarf. Diese Diskussion werden wir führen mal kontrovers, mal weniger kontrovers. Vielleicht lassen wir im einen oder anderen Fall ja auch die Bürger direkt entscheiden. Viele Diskussionen liegen vor uns. Gebe uns Gott die Weisheit, die Gelassenheit und die Gerechtigkeit um diese schwierigen Dinge in unserer Arbeit zu berücksichtigen.
Doch nun wünsche ich uns allen einen schönen Abend, gute Gespräche und anregende Begegnungen. Danach wünsche ich Ihnen, Ihren Familien und Ihren Freunden ein gesegnetes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch in das neue Jahr und gute Entscheidungen für Sie, für unsere Stadt und für unsere Welt.
Memmingen, 17.12.2010
Dieter Buchberger